Der Karate (空手道, karate-do) ist eine japanische Kampfsportart. Aus dem japanischen übersetzt, bedeutet der Kanji (Ideogramm) "kara" etwa soviel wie "die Leere" oder eher "die Nichtigkeit, die Belanglosigkeit" im buddhistischen Sinne. "te" bedeutet soviel wie "die Hand" oder auch alle Techniken die man mit der Hand ausüben kann. Wortwörtlich übersetzt bedeutet Karate also soviel wie "die leere Hand". Diese Kampfsportart setzt sich aus einem System zusammen, bestehend aus Kampf, Verteidigung, physischer Konditionierung, sowie geistig Entwicklung verschiedenster Schlagtechniken, die sich die natürlichen "Waffen" des eignen Körpers (Hände, Ellbogen, Arme, Füsse, Knie, Beine und Kopf) zu eigen machen, um gegnerische Attacken abzuwehren oder um selbst anzugreifen.
Der moderne Karate hat seinen Ursprung im chinesischen Boxen (唐手, To-De), einer Kampfsportart, die vor allem auf der kleinen Insel Okinawa praktiziert wurde und dadurch gekennzeichnet war, dass Waffen nicht erlaubt waren und nur mit leeren Händen gekämpft werden durfte.
Alle Techniken des Karate vereinen Paraden, Ausweichtechniken, fehgende Bewegungen und Stösse. Abhängig vom Karate-stile, variiert der Inhalt dieser Techniken in einigen Einzelheiten (shotokan, wado-ryu, shito-ryu, goju-ryu, ...).
Die ersten Spuren der verschiedenen Techniken von Faust- und Fussschlägen führen zurück bis ins alte China zu einem buddhistischen Mönch namens Bodhidharma (auch bekannt unter dem Namen Daruma (aus dem japanischen), oder Da Mo). Bodhidharma kam ursprünglich aus dem Indien des VI. Jahrhunderts und lies sich im berühmten "Kloster des kleinen Waldes" (Shao Lin Shi auf chinesisch, oder Shorinji auf japanisch) nieder.
Hier zeigte er den anderen Mönchen die ersten Schlagtechniken bekannt unter dem Namen "Chinesisches Boxen" (Shaolin-chuan) oder auch (quanfa -Methode der Faust), anwendbar im Kampf ohne Waffen. Das Kloster wurde im Laufe der Jahrzehnte in ganz China immer berühmter für seine gefürchteten und gleichzeitig geachteten Kampfkünste.
Hier ein Bild der Eintrittspforte des Shaolintempel im Zentrum der chinesischen Provinz von He Nan. Dieser Tempel wird als Wiege der chinesischen Kampfkunst angesehen, die den Karate von Okinawa stark beeinflusst hat. 495 n.Chr. ließ Kaiser Hsiao-Wen den Tempel bauen.
In der westlichen Welt waren die chinesischen Kampfkünste (Wushu ou Kuoshu) lange Zeit unter dem Namen "Kung-Fu" bekannt. In Japan wurden sie "Kempo" genannt.
Chinesisches Boxen
Dank des ansteigenden kommerziellen und kulturellen Austauschs zwischen China un der Insel Okinawa im Süden Japans, fanden auch die Kenntnisse der Kampfkünste ihren Weg auf die Insel. Hier wurden diese Kampfkünste weiterentwickelt und perfektioniert, um schlussendlich zum "Karate" zu werden. Die grössten Experten des Karate (unter anderem Gichin Funakoshi, Kanryo Higaonna, Chojun Miyagi, ...) stammten ursprünglich von der Insel Okinawa, weshalb der Karate heute als Kampfkunst von Okinawa bekannt ist. Sensei Gichin Funakoshi wird heute als der Vater des Modernen Karate angesehen. Er ist natürlich nicht der Erfinder dieser Kampfkunst, sonder trug maßgeblich dazu bei, dass der Karate über die Grenzen der Insel Okinawa hinaus bekannt wurde.
Leider existieren keine schriftlichen Aufzeichnungen über die Weitergabe und das Lehren der einzelnen Techniken des Modernen Karate in Okinawa. Trotz allem kann gesagt werden, dass der Karate eine Mischung aus der chinesischen Kampfkunst "To-de" (leere Hand) und der bereits existierenden Kampfkünste der Insel ist. Aus dieser Mischung entstand schlussendlich die definitive Form "Kampfkunst der leeren Hand" auch bekannt als "Karate-do".
Im Jahr 1409 vereinte der König Sho Hashi die 3 bis dahin getrennten und verfeindeten Territorien der Insel Okinawa (Chuzan, Hokuzan, et Nanzan) wieder miteinander. Da er aber befürchtete, es könnte zu Aufständen kommen, lies König Sho Hashi den Besitz von Waffen verbieten und alle Waffen in ein königliches Lager einschließen. Durch dieses Waffenverbot haben sich die Kampfkünste auf der Insel rapide weiterentwickelt. Des Weiteren, trugen die Bildung des "Satsuma-Clans" auf der Insel und die Besetzung Okinawas durch japanische Samuraï im Jahre 1609 ihren Teil zu dieser Weiterentwicklung bei. Das Training fand vor allem nachts in geschlossenen Gärten und unter absoluter Geheimhaltung statt. Jede Kampftechnik wurde dabei mündlich weitergegeben. Langsam aber sicher schälten sich so immer mehr Experten aus den Schülern heraus, Kampfstile wurden vielfältiger und die Meister der einzelnen "Schulen" kodifizierten ihren Unterricht immer mehr um immer weniger Platz für Improvisationen zu lassen.
Die Techniken der "leeren Hand" wurden immer angesehener und besaßen eine tödliche Wirkungskraft, sogar gegen bewaffnete Soldaten. So wurden die Methoden der chinesischen Kampfkünste immer angepasster und waren bald unter dem Namen "Okinawa-Te" ("te" bedeutet "Hand") bekannt.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts nahmen die Kampfschulen die Namen der Orte an in denen ihre ANhänger zu finden waren. Dabei entstanden zwei große Bewegungen: "Shuri-Te" für die Stadt Shuri und "Naha-Te" für die Stadt Naha. Eine dritte Bewegung ("Tomari-Te") entstand ebenfalls, vereinte jedoch einige der Kampftechniken der beiden vorher genannten Bewegungen.
Zwei Samuraï in Rüstung mit Waffen
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde der "Okinawa-Te" langsam aber sicher in den Gymnastikunterricht der Kinder der Insel Okinawa eingebunden. Natürlich mussten hierzu einige Anpassungen vorgenommen werden, wie zum Beispill das Vermeiden jeglicher Verletzungen. Dabei schälten sich vor allem zwei Techniken heraus: der "Itosu Anko" (Shorin-Stile, basierend auf langen, schnellen und leichten Bewegungen) und "Kanryo Higaonna" (Shoreï-Stile, sehr effektiv im Nahkampf und sehr Kraftvoll). Der Name "Okinawa-Te" wurde dann anschließend durch den Namen "Karaté-Jutsu"
(唐手術, wörtlich übersetzt "Technik der chinesischen Hand") ersetzt. Im Jahre 1904 erlaubte der Staat von Tokio dann schlussendlich die Ausübung des Karates in den Schulen als Sportart und im Sportunterricht.
Erst zwischen 1915 und 1925 wurde der "Okinawa-Te" nach aussen hin bekannt. Dies ist vor allem Gichin Funakoshi zu verdanken. Als Professor an der Pädagogischen Hochschule von Okinawa, gelang es ihm bei einer Karate-Demonstration in Japan seine Zuschauer für diese Sportart zu begeistern.
Im Jahre 1922, nach einer zweiten Demonstration des Karate in Japan, wurde Gichin Funakoshi gebeten im Land zubleiden und seine Methoden dieser Kampfkunst als Unterricht anzubieten. Daraufhin schnitt Funakoshi alle Bindungen zu China und Okinawa ab und lehrt fortan in Japan Karate. Seine Techniken wurden kurze Zeit später als "Shotokan" bekannt, zusammengesetzt aus dem Namen seines Trainingsraumes ("Kan") und Funakoshis Pseudonym ("Shoto") unter welchem er Gedichte schrieb.
Er legte sehr viel Wert auf den spirituellen Grund der Bewegungen die er lehrte. Als Zeichen hierfür, fügte er am Ende des Wortes "Karate" das "Do" an und erhob damit seine Kampfkunst auf die selbe Ebene wie die japanischen Kampfkünste ("Budo"). Gleichzeitig wollte er damit aussagen, dass sein Karate sich eine geistige Ebene mit den alten Samuraï teilt.
Gichin Funakoshi
1936 war der Beginn des Karate als anerkannte Kampfsportart. Die neuen Methoden des Karate waren so ausgelegt, dass sie Verletzungen vermied und somit in organisierten kompetitiven Wettkämpfen eingesetzt werden konnte. Es war das gleiche Jahr, in dem der erste kompetitive Wettkampf, bekannt unter dem Namen "Jiyu Kumite" (offener Kampf) ausgeführt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden nur Kata Turniere organisiert.
Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde die Insel Okinawa komplett zerstört und somit sind viele der alten "Experten", und somit lebende Archive des Karate für immer verschwunden. Die Japaner lernte ab da intensiver als je zuvor die Kampftechniken die einst von Bauern einer kleinen Kolonie erfunden wurden. Somit war ein Weiterleben dieser alten Kampfkunst gesichert und wurde bald darauf in der gesamten Welt bekannt.
Gichin Funakoshi faste seine Vision des Karate zusammen und nannte sein Werk "Die zwanzig Prinzipien des Niju Kun". Zum Einen, decken diese Grundsätze Gichin Funakoshis globale Sicht auf den Karate und somit auch die fundamentale soziale und moralische Basis dieser Kampfsportart ab. Zum Anderen geben sie aber auch Einblick in die Techniken, den Selbstschutz und das Einbringen des Karate in den Alltag.
Karate-do : der Weg des Karate
rei : Höflichkeit, Begrüßung, Dankbarkeit
hajimari : Anfang
owaru : beenden
koto : Sache
wasuru na : vergiss nicht
Regel 1: Vergiss nicht, dass der Karate-do mit Höflichkeit beginnt und endet.
Ohne Höflichkeit und gegenseitigen Respekt, gibt es kein Vorankommen auf dem Weg des Karate. Symbolisch wird dieser Respekt durch die Begrüßung "Rei" dargelegt. Sie soll zu einer innere sowie einer äußere Harmonie eines jeden führen.
"Der Respekt gegenüber seinen Trainingspartnern ist entscheidend. Es ist wichtig immer freundlich zu seinem Trainingspartner zu sein, nicht arrogant aufzutreten oder sich überlegen zu fühlen. Des Weiteren soll sich der Respekt und die Höflichkeit nicht nur auf die vier Wände des Dojo begrenzen. Auch zu Hause hören wir auf unsere Eltern. Auf der Arbeit handeln wir nicht gegen die Anordnungen unserer Vorgesetzten. In der Schule hören wir auf das, was der Lehrer sagt." Gichin Funakoshi
karate : leere Hand
sente : die erste Bewegung, die Initiative
nashi : ist nicht vorhanden. es ist nicht existent
Regel 2: Im Karate ist die Initiative kein Vorteil
Dieser Grundsatz ist wohl einer der berühmtesten Grundsätze des Karate. Noch heute kann man diesen Grundsatz auf Funakoshis Denkmal im Tempel von Enkakuji in Kamakura nachlesen. Der Karate soll unter keinen Umständen als Attacke dienen. Hier geht nicht die Rede vom Weg des Karate ("Karate-Do"), sondern von den Karate-Techniken selbst.
Diese Denkweise fast die Haltung zusammen, die dem Karate, sowie allen anderen Kampfsportarten zu Grunde liegen sollte. Die erste Handlung, oder die erste Bewegung im Karate sollte immer als Abwehr dienen und nie als Attacke genutzt werden.
Der Karateka sollte keine Aggressivität an den Tag legen. Falls er sich einem Angriff gegenüber sieht, dem er nicht entgehen kann, so sollte seine Antwort immer einer Abwehr gleichkommen. Diese sollte von einem kontrollierten und angepassten Gegenschlag gefolgt werden, der der Aggressivität des Gegners angepasst ist. Weder Aggressivität, noch Gewalt. So beginnen im Shotokan-Karate alle Katas mit einer Abwehr-Technik.
Der Wunsch, niemals einen Kampf beginnen zu wollen, die innere Ausgeglichenheit und Harmonie sollten im Dojo, sowie in allen anderen Lebenssituationen allgegenwertig sein.
Eine Aussage von Taiji Kase : "Mein Rat an alle Schüler des Karate ist einfach: Man sollte sehr darauf achten, was Ginchi Funakoshi gesagt hat: "Karate Ni Sente Nashi”. Man muss dieses Konzept sowohl mental als auch in Hinsicht auf die Techniken tiefgründig verstehen. Man muss es fertig bringen, dass der Angreifer mental versteht, fühlt und auch akzeptiert, dass ein Angriff sinnlos wäre. Genau hier versteckt sich der Kern der Aussage: “Karate Ni Sente Nashi”. Der Angreifer verzichtet auf seine erste Attacke und lässt somit keine Aggression aufkommen."
gi : Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Loyalität, Treue
tasuke : Hilfe, Erleichterung
Regel 3: Der Karate ist die Hilfe zur Gerechtigkeit.
Der Karate ist ein Instrument der Gerechtigkeit. Die Ausübung dieser Kampfkunst soll den Geist und die Sicht auf die gerechten Sachen und Seiten des Lebens lenken. Ausserdem soll der Karate, falls nötig, genutzt werden um sich für eine gerechte Sache einzusetzen. Für Funakoshi soll der Karate dazu dienen, den Körper sowie auch den Geist zu perfektionieren.
"Respektiere die Regeln der Moral im täglichen Leben, in der Öffentlichkeit sowie im Privaten. Niemand wird je Perfektion im Karate erlangen, wenn er nicht versteht, dass es sich beim Karate um einen Glauben, einen Weg handelt. Der Karateka, der seine Hilfe anbietet und die Hilfe anderer akzeptiert, dem wird es gelingen dieser Kunst eine Dimension des Glaubens zuzuweisen." Gichin Funakoshi.
Durch das Erlernen der Techniken und der perfekten Bewegungen, entwickelt der Karateka seine vitale Energie (den "Ki"). Außerdem entwickelt er ein Denken ("Shin") das seine Selbstbeherrschung fördert und ihn somit von der Gewalt wegbringt. Der Weg der wahren Kampfkunst soll ein Weg der Lehre sein, die Lehre des Friedens und der Gewaltlosigkeit. In jeder Kunst des Budō, gibt es drei wichtige Bestandteile, die untereinander verbunden und abhängig vom Alter und Grad des Karateka sind: Die Körper (Tai), die Technik (Ghi) und der Geist (Shin).
Eine Unkenntnis einer dieser Bestandteile führt beim Schüler sehr schnell zu einem Misserfolg in seinem täglichen Verhalten. Eine zeitgenössische sportliche Anpassung der alten Budō ist also nur eine geringe Nachwirkung dieser Hauptsorge. Es bleibt somit dabei, dass der Budoka lernen muss, dass der Gegner immer in einem Selbst zu finden ist und nicht außerhalb.
mazu : als erstes
jiko : sich selbst
shire : kennen, wissen
shikashite : und, außerdem
ta : die Andern
Regel 4: Kenne zu erst dich selbst und erst dann alle Andern.
Man muss seine eigenen Stärken und Schwächen kennen und offen zu sich selbst sein. Erst dann kann man einen Blick auf jemand anderen werfen und diesen einschätzen. Azato, ein Professor von Funakoshi, pflegte immer zu sagen: "Seinen Gegner so genau zu kennen, wie sich selbst, das ist das Geheimnis jeder Strategie."
Durch das regelmäßige Üben, erkennt der Karateka seine bevorzugten Techniken sowie seine eigenen Schwächen. Im Kampf muss er seine eigenen Stärken genauso gut kennen, wie die des Gegners.
Gijutsu : Technologie, Geschicklichkeit, Kunst, Kompetenz
yori : mehr als
shinjutsu : spiritualität
Regel 5: Der Geist (die psychische Stärke) steht vor der Technik. Funakoshi möchte hier, dass ein Jeder sich zuerst über seine mentale Einstellung Gedanken macht, und erst dann über die technische Ausführung.
"Der Karate-Dō steuert die Perfektionierung des Geistes und des Körpers an. Einzig und alleine die Techniken zu loben, sollte ein Tabu sein. Wie der heilige Buddhist Nichirien bereits so treffend gesagt hat, man solle die Sutras nicht nur mit den Augen lesen, sondern mit der gesamten Seele. Diejenigen, bei denen der Geist und die Stärke soweit abgestumpft sind, dass sie nicht mehr in der Lage sind zu verzichten, werden nie wieder eine Prüfung bestehen können." Gichin Funakoshi.
In der Lehre des Karate-Dō sagt man, dass der Geist manchmal wichtiger ist als die Technik. Wenn die Technik gleichstark ist, ist der Geist entscheidend. "Wenn du kämpfst, Krieger, und dein Arm bricht, nutzen den anderen Arm. Wenn der andere Arm auch bricht, nutze die Beine. Wenn deine Beine dich auch im Stich lassen, kannst du immer noch zubeißen. Und wenn sie dir schlussendlich den Kopf abschlagen, wird dein Körper ihm hinterher fallen." Gichin Funakoshi
Kokoro : Körper, Geist, Knoten
hanatan : trennen, die Freiheit lassen, loslassen, gehen lassen
koto : Sache, Substanz
yosu : Wunsch, Verlangen, Notwendigkeit
Regel 6: Es ist notwendig seinen Geist zu befreien.
Alles ist eine Sache der mentalen Einstellung, wenn man einem Gegner gegenüber steht. Der Geist sollte so ruhig sein, wie die Oberfläche des Wassers. Die glatte Oberfläche des Wassers spiegelt jeden Gegenstand exakt wieder. Wenn also der Geist zur Ruhe kommt, werden die Bewegungen des Gegners, ob psychisch oder physisch, sofort erkannt und die defensive oder offensive Antwort wird somit exakt angepasst sein.
Auf der anderen Seite, spiegelt eine unruhige Wasseroberfläche auch verworrene Bilder der Objekte wieder. In anderen Worten, wenn der Geist zu sehr damit beschäftigt ist sich Gedanken über mögliche Attacken und Abwehrtechniken zu machen, wird er niemals die Absichten des Gegners erkennen und verschafft dem Gegner somit einen Vorteil beim Angriff.
Funakoshi hat gesagt : "So wie ein Spiegel ein klares und untrügliches Bild zurückwirft, so wie man in einem ruhigen Tal ein klares Echo hört, so sollte auch ein Anfänger sich von egoistischen und schlechten Gedanken befreien. Denn nur mit einem klaren Verstand und einem klaren Geist ist er in der Lage zu verstehen, was er lernt."
Wazawai : Unglück, Missgeschick
getai/kaitai : faul, nachlässig
shozu : hervorrufen, verursachen, plötzlich auftreten
Regel 7: Missgeschicke werden durch Nachlässigkeit hervorgerufen.
Viele Unglücke sind der Nachlässigkeit zuzuschreiben. Die geringste Unachtsamkeit während des Kampfes, kann sämtliche Vorbereitungen zunichte machen. Die Nachlässigkeit kann manchmal unerwartete Formen annehmen, die nichts mehr mit der harten Arbeit während des Trainings gemein haben. Der Hauptgrund hierfür ist Angst. Angst vor Veränderung, Angst etwas zu verlieren, das wir vorher anderweitig gefunden haben.
Man soll sich als Mensch verbessern, sich weiterentwickeln, nach Mut und Anstrengung fragen, das tun, wofür nur wenige Menschen bereit sind.
"Das Leben gleicht manchmal einem Wettbewerb wo man sich bis aufs Messer bekämpft. Mit einer halbherzigen Einstellung zum Sinn des Lebens, wo man sich nach jeder Niederlage eine zweite Chance erwartet, wie sieht dann die Erschaffung eines angenehmen Lebensraumes aus, der oft nicht länger als 50 Jahre wehrt ?" Gichin Funakoshi.
dojo : Trainingsraum, Trainingshalle
nomi : nur
omou na : denke nicht nach
Regel 8: Denke nicht, dass Karate sich nur auf den Trainingsraum beschränkt.
Der Weg, die innere Anwendung und die Wichtigkeit eines vorbildlichen Verhaltens in jeder Lebenssituation. Die Anwendung beschränkt sich also nicht nur auf die Technik. Dieses Prinzip, welches als "der Weg" bezeichnet wird, findet sich in der Gesamtheit aller Kampfkünste wieder. Der Budo, sos sagen die Meister, beschränkt sich nicht nur auf den Dojo. Es ist eine Lebenseinstellung. Der wahre Dojo, so sagen die Meister weiter, ist der, den man in seinem eignen Körper, tief in sich selbst erbaut.
"Betrachte dein alltägliches Leben als einen festen Bestandteil deines Karatetrainings. Denke nicht, dass der Karate nur innerhalb des Dojos zuhause ist oder nur eine Form von Kampf sei. Der tiefere Sinn des Karate und die einzelnen Elemente des Trainings sind in allen Lebenssituationen anwendbar." Gichin Funakoshi
shugyo : Bildung, Ausbildung
issho : gesamtes Leben, Existenz
de aru : um zu sein
Regel 9: Die Ausbildung im Karate, dauert ein Leben lang.
Man sollte den Karate als eine Lebenskunst ansehen. So wie die buddhistische Schule des Zen, sind auch die Kampfkünste keine Sachen die man einfach nur tut oder oder neben bei erlernt. Sie sind viel mehr das, was man sein will oder ist. Es ist also notwendig seine Zeit darin zu investieren, Perfekt zu werden. Und genau deshalb ist dieser Lernprozess auch ein endloser Prozess.
arai yuru : alle, jeder
mono : Sache, Substanz
ka seyo : in etwas verwandeln, umwandeln
soki : dort, nicht zu weit entfernt
myo mi : Charme, erlesene Schönheit
Regel 10: Der Karate ist in allem was man tut. Dort findet man seine innere Schönheit.
Ein Fuß- oder Faustschlag, ob ausgeteilt oder eingesteckt, kann über Leben oder Tod entscheiden. So heißt die Doktrin de Karate-dô. Würde jeder Bereich im Leben mit einer solchen Seriosität gesehen, wären alle Prüfungen und Schwierigkeiten zu meistern. Würde jeder der sich einer schwierigen Situation gegenüber sieht so handeln als würde sein gesamtes Leben davon abhängen, so würde er das maximum seiner eigenen Fähigkeiten an den Tag legen.
Es geht also darum sein alltägliches Leben mit dem Karate zu verbinden, um somit den tieferen Sinn zu entdecken. Das alltägliche Leben soll als als Bestandteil des Karatetrainings angesehen werden. Eine schwierige Angelegenheit, eine anspruchsvolle Prüfung, eine unangenehme Lebenssituation, jeder dieser Momente sollte als Chance gesehen werden dazuzulernen und zu wachsen. Dieses Prinzip deckt sich mit der Regel 8: Denke nicht, dass Karate sich nur auf den Dojo beschränkt.
yu : heißes Wasser
gotoshi : so als, als ob
taezu : jeden Tag, kontinuierlich, ohne Unterbrechung
netsudo : Hitzegrad, Enthusiasmus
atae zareba : es sei denn du gibst nicht
moto : Herkunft, vorheriger Zustand
mizu : Wasser
kaeru : Rückkehr
Regel 11: Der Karate ist so wie heißes Wasser: gibt man nicht ständig Hitze dazu, so erkaltet es langsam.
Es ist die Basis der Ausbildung... mach weiter oder hör auf. Doch bedenke, wenn du aufhörst, wird ein Neubeginn umso schwieriger und sollte demnach langsam und durchdacht durchgeführt werden, um Verletzungen zu vermeiden. Nur ein ständiges und regelmäßiges Training wird dem Körper und dem Geist die Belohnungen des "Weges" bescheren.
"Die Lehre über die Anwendung, ist wie das Drücken eines Ochsenkarrens über einen Berg: höre auf zu drücken und all deine Anstrengungen wären umsonst gewesen." japanisches Sprichwort
katsu : um zu gewinnen
kangae : ein Gedanke
motsu na : haben keinen...
makenu : nicht verlieren
hitsuyo : erforderlich
Regel 12: Denke nicht daran zu gewinnen, sondern eher daran nicht zu verlieren.
Dies ist ein Zitat, das zum Überlegen anregen sollte. Viele Texte andere Kampfkünste regen dazu an, den Kopf frei von Gedanken zu halten. Doch dieser Punkt des Niju Kun besagt das Gegenteil. Er fordert dazu auf zu denken. Daran zu denken, nicht zu verlieren. Anstatt sich vorzustellen einen Wettbewerb zu gewinnen und somit die Angst zu versagen zu schüren, sollte man einfach nur daran denken nicht zu verlieren um somit seine eigenen Gewinnchancen zu erhöhen.
Eine mentale Einstellung die davon besessen ist zu gewinnen, führt zu einem exzessiven Optimismus, der wiederum zur Ungeduld und Reizbarkeit führt. Die beste Einstellung ist als davon auszugehen nicht zu verlieren, egal wie stark der Gegner ist. Dabei sollte man sich immer seiner eignen Stärken bewusst sein und diese nach dem bestmöglichen einzusetzen.
tekki : Gegner, Feind, Konkurent
ni yotte : nach
tenka seyo : Veränderung
Regel 13: Verändere dich selbst je nach deinem Gegner.
Diese Regel bezieht sich auf die Wichtigkeit seinen Gegner und dessen Bewegungen in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Es bedeutet also, dass man seinen Gegner komplett beobachten sollte. Mit der kompletten Entwicklung dieser Einstellung, werden einem sofort alle möglichen Öffnungen in der Abwehr des Gegners bewusst. Man muss also ständig seine eigene Abwehr den Bewegungen des Gegners anpassen.
tattakai : Krieg, Kampf
kyo jitsu : Wahrheit oder Lüge, intelligenter Kampf, jede Strategie nutzen
soju : kontrollieren, steuern
ikan : was, wie
Regel 14: Das Geheimnis des Kampfes, liegt in der Kunst ihn zu steuern.
Die Regeln 13 und 14 sprechen die mentale Einstellung im Kampf an. Ein Kämpfer muss in der Lage sein, sich seinem Gegner anzupassen; der Kämpfer umgeht die Stärken des Gegners um diesen an seinen schwächsten Punkten zu schlagen. Jede stereotypische Aktion sollte vermieden werden. Azato sagte: "Man soll sich nicht einschüchtern lassen und stehts einen kühlen Kopf bewahren um so jede Lücke in der Verteidigung des Gegners zu entdecken. Somit ist einem der Sieg gewiss." Ein Gegner sollte einen nie dazu bringen, dass man sich ändern muss. Man sollte eher verstehen, wie man den Gegner steuern kann. Dabei sollte man nicht egal welche Techniken benutzen, sondern die Situation genau analysieren um sie intelligent zu meistern.
hito : die Leute
te ashi : Arme und Beine
ken : Schwert
to omoe : denke
Regel 15: Denke bei den Armen und Beinen der Leute an Schwerter.
Unsere Arme und Beine sind wie Scherter... die des Gegners auch! Funakoshi möchte, dass der Karate in seiner Gesamtheit als Kampfkunst mit der nötigen Seriosität praktiziert wird: "Dies bedeutet, dass man die einfachen Grundkenntnisse der Anwendung sowie die Aufrichtigkeit beim Training übertreffen soll. Bei jeder Bewegung, ob mit Füssen oder Händen, soll man sich immer vorstellen einem mit scharfem Schwert bewaffneten Gegner gegenüber zu stehen." Funakoshi erzählt, dass sein Professor Yasutsune Azato bereits mit leeren Händen Kanna Yasumori, einem Meister der Schwertkunst in Okinawa, gegenübergetreten ist und den Kampf gewonnen hat. Im alten Okinawa-te wurde der gesamte Körper als Waffe genutzt. Diese Methode (auch "atemi" genannt) basiert auf einem präzisen, schnellen und starken Schlag auf einen bestimmten verletzbaren Punkt des Gegners (Vitalpunkte). Recherchen ergaben, dass "atemi" einen Schmerz, eine Lähmung, einen Knochenbruch, einen Gelenkbruch bis hin zur Besinnungslosigkeit hervorrufen kann. Sprich, der Gegner wird komplett Kampfunfähig gemach.
danshi : Mann, männlich
mon : Tür, Barriere
izureba : wenn (jemand) geht
tekki : Gegner, Feind
Regel 16: Verlasse dein Haus und eine Million Gegner warten auf dich.
Draußen ist die Gefahr grösser auf Unruhen zu treffen als im eignen Heim. Darum sollte man beim Verlassen des Hauses seine Wachsamkeit verdoppeln. Es wurde überliefert, dass Funakoshi jede Straßenecke im großen Bogen nahm, um somit eventuellen Überraschungen zu entgehen. Des weiteren, soll er seinen Schülern gezeigt haben, wie diese ihr Baguette beim Essen halten sollen, um diese im Ernstfall einsetzen zu können.
kamae : Wahrung
shoshinsha : Anfänger, Novize
ato : später
shizentai : normale Position
Regel 17: Formelle Position für Anfänger, natürliche Position für Fortgeschrittene.
Ein Anfänger muss zu erst alle Positionen kennen lernen, um später eine gute natürliche Position einnehmen zu können. Ein fortgeschrittener Schüler ist in der Lage intuitiv eine natürliche und entspante Position einzunehmen. Man soll seinen Körper nicht verspannen. Man sollte immer einen entspannten Körper haben, um somit auf jede eventuelle Attacke aus jeder möglichen Richtung vorbereitet zu sein.
kata : Form, Rutine
tadashiku : korrekt
jissen : echter Kampf, echter Krieg
Regel 18: Die Praxis (Kata) muss immer korrekt (perfekt) ausgeführt werden, denn der Kampf ist eine andere Sache.
Die Katas, sowie die Grundübungen sind das Rückgrad des Trainings im Karate-dô. Anko Itosu sagte: "Respektiere die Form der Katas. Versuche nicht die Ästhetik zu erarbeiten. Im wahren Kampf darf man sich nicht selbst mit den Ritualen der Katas behindern. Der Anfänger muss di von den Katas gesetzten Grenzen überwinden und sich frei bewegen um sich so auf die Stärken und Schwächen des Gegners einzustellen.'' Eine Person die sich nur auf den Kampf konzentriert und die Praxis der wesentlichen Techniken außen vor lässt, wird schnell von demjenigen übertroffen, der sehr lange trainiert hat und gewissenhaft seine Grundtechniken einsetzt.
chikara : Kraft
kyojaku : Stärke und Schwäche, relative Kraft
tai : Körper
shinshuku : Ausdehnung und Gegenreaktion, elastisch, flexibel
waza : Technik
kankyu : rellative Geschwindigkeit, langsam und schnell
wasaruna : vergiss nicht
Regel 19: Vergiss nicht die Dynamik der Kraft, die Flexibilität des Körpers sowie die relative Geschwindigkeit der Technik zu kontrollieren.
Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Flexibilität und der Schnelligkeit eines Muskels. "Sei flexibel, sei stark, sei schnell und nutze jede einzelne dieser Qualitäten um ein bestmögliches Resultat zu erzielen."
Während der Ausübung eines Katas, sollten nicht alle Techniken von Anfang bis Ende mit der selben Schnelligkeit, der selben Stärke und dem selben Rhythmus ausgeführt werden. Beim "Bassai Dai" zum Beispiel erlernt man Ruhe und Beweglichkeit, Kraft und Veränderungen, schnelle und langsame Techniken, die Dynamik der Kraft, wie man sich aus einer beklemmenden Situation befreit und wie man zwischen verschiedenen Abwehrtechniken wechselt.
tsune ni : die ganze Zeit
shinen : Gedanke
kufu : Erfindung, Mittel
seyo : mach es
Regel 20: Perfektioniere dich selbst ohne Nachlass.
Alle diese Regeln sollten tagtäglich gelebt werden. Ziel der Ausübung des Karate ist nicht das beherrschen der Techniken, sondern eine Einheit zwischen Körper und Geist zu schaffen. Dieser geistige Einstellung liegt dieser Kampfsportart zu Grunde. Um die besseren Chancen im Kampf zu haben, muss man dem Gegner seine Geschicklichkeit und die Gesamtheit der eigenen mentalen Ressourcen (Konzentration, Wille, Ruhe, Entscheidungsvermögen) entgegensetzen.
Das Eine kann nicht ohne das Andere zur absoluten Wirksamkeit führen. Ziel ist es nicht irgendeinen Gegner zu besiegen. Es geht darum sich selbst zu beherrschen, sowohl körperlich wie auch geistig. "Der Mensch der sich weiterentwickeln will, sucht tagtäglich nach Perfektion. Es ist eine Tugend. Die Höchste aller Tugenden ist es andere in diese Kunst einzuführen." G.Funakoshi
Quelle:
Übersetzung aus dem Französichen:
Franzen Jérôme